In memoriam Olaf Bockhorn
(19.02.1942 – 16.10.2023)
Am 17. September 2023 ist in der Hanuschgasse der Vorlass von Olaf Bockhorn auf Vermittlung seiner Tochter eingetroffen – fast drei Dutzend Umzugskartons voll mit Aufzeichnungen, Manuskripten, Transkriptionen und Kopien. Niemand dachte damals daran, wie schnell diese Archivalien, Überreste und Zeugnisse eines langen Forscherlebens, zum Nachlass werden sollten: Nur vier Wochen später ist Olaf Bockhorn nach längerer Krankheit, und dann doch für viele überraschend, gestorben. Mit ihm hat das Wiener Institut für Europäische Ethnologie einen langjährigen und über weite Strecken prägenden Angehörigen und die volkskundliche Kulturwissenschaft in Österreich eine markante und in mancher Thematik innovative Stimme verloren.
Olaf Bockhorn, Sohn eines Lehrerehepaars, wurde am 19. Februar 1942 in Wien geboren und hat als Halbwaise – der Vater starb kurz vor seiner Geburt im Krieg – seine Schulzeit in Linz verbracht. Danach studierte er ab 1960 an der Wiener Universität zunächst kurz Medizin, hierauf Germanistik und Anglistik mit dem Ziel der Lehramtsprüfung und wandte sich schließlich, angeregt durch die damals für Lehramtskandidat*innen obligatorischen volkskundlichen Vorlesungen von Richard Wolfram, gänzlich der Studienrichtung Volkskunde zu. Von Richard Wolfram wurde er auch – davor in fachfremder oder fachnäherer Erwerbstätigkeit (Mitarbeiter im Zeitungsverlag Dichand & Falk bzw. am Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) – im Jahr 1970 als Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Volkskunde der Universität Wien angestellt und konnte hier seine, von Karoly Gaál (später Nachfolger Wolframs als Lehrstuhlinhaber) betreute Dissertation über „Fahrzeuge im Mühlviertel: Geräte- und Wirtschaftsformänderung“ abschließen. Promoviert 1971, wurde Bockhorn Assistent und übernahm bereits damals Verantwortung für den Lehrbetrieb, der er bis weit über seine Pensionierung (2003) hinaus nachkam – als er 2016 seine letzte Wanderexkursion abhielt, konnte er auf über 180 Lehrveranstaltungen (Vorlesungen, Proseminare, Seminare, Übungen und Exkursionen) zurückblicken. 1986 erfolgte die Habilitation für „Europäische Volkskunde (Ethnologia Europaea)“ an der Universität Wien („Arbeit – Haus – Gerät im Burgenland: Untersuchungen zur bäuerlichen Kultur“), und mit der Ernennung zum a.o.Universitätsprofessor im Jahr 1997 schließt sich der Kreis seiner universitären Laufbahn, die ihn zudem zu Gastprofessuren in Regensburg, Bamberg und Bayreuth und zu leitenden Funktionen in wissenschaftlichen Vereinigungen im In- und Ausland geführt hat – so im „Österreichischen Fachverband für Volkskunde“ (heute „Österreichische Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft und Volkskunde“), im Wiener „Verein für Volkskunde“ oder in der „Kommission für Arbeiterkultur“ (heute: „Kommission Arbeitskulturen“) der „Deutschen Gesellschaft für Volkskunde“ (heute „Deutsche Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft“).
Wie es so oft der Fall ist, waren auch bei Olaf Bockhorn die frühen Umwege in seiner akademischen Ausbildung prägend und für seine thematischen Interessen und Forschungsgebiete richtungsweisend. So legte seine kurzfristige Mitarbeit am Institut für Vergleichende Verhaltensforschung bei Otto Koenig – dessen Spekulationen etwa über das Matreier Klaubaufgehen er später heftig kritisiert hat – wohl den Grundstock zu seinem lebenslangen Einsatz für den wissenschaftlichen Film als Dokumentations- und Vermittlungsform, dem er sich nicht nur in theoretischer Überlegung widmete, sondern v.a. auch als (Mit)Gestalter vieler Beiträge für das „Österreichische Bundesinstitut für den Wissenschaftlichen Film (ÖWF)“ – genannt seien hier nur Dokumentationen von Brauchveranstaltungen, u.a. des Ausseer Faschings, und von verschiedenen Formen alten Handwerks.
Handwerk, Werkzeug, Gerät, Arbeit – Ergologie und Sachkunde als Spiegel wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen, wie sie bereits in seinen akademischen Qualifikationsarbeiten im Mittelpunkt standen, waren für Olaf Bockhorn stets zentrales Forschungsinteresse. Von seinen (ohne Rezensionen) rund 160 Publikationen sind ihnen gut ein Drittel gewidmet, beginnend mit den frühen Beiträgen zu den von Karoly Gaál angeregten ortsmonographischen, den Blick auf „Geräte- und Wirtschaftsformänderung“ richtenden Studien (Wolfau, Tadten, Nestelberg) bis zu den überregionalen „Dingen des Alltags“, wie sie etwa Anfang der 2000er Jahre im Rahmen eines Projekts des Oberösterreichischen Landesmuseums zu Kultur und Lebensweise in Österreich nach 1945 thematisiert wurden.
Materielle Kultur – der Weg war nicht weit zur intensiven Beschäftigung mit museologischen Fragestellungen, wieder in Theorie und Praxis verfolgt: als kritischer Kommentator und Dokumentarist hiesigen Ausstellungswesens (etwa die mehrbändige Bestandsaufnahme (nieder)österreichischer Regionalmuseen und Sammlungen, gemeinsam mit Hermann Steininger und Petra Bockhorn), bei der Konzeption und Realisierung eigener Projekte (beispielsweise zusammen mit Elisabeth Bockhorn im Stiftsmeierhof Aigen-Schlägl) und nicht zu vergessen als Leiter der Abteilung „Volkskundliche Praxis“ des Instituts (1991–1999), in deren Zusammenhang museologische Lehrveranstaltungen, Exkursionen und Kurse angeboten wurden.
Um einen weiteren seiner Forschungsschwerpunkte anzudeuten: Olaf Bockhorn hat in zweifacher Hinsicht Fachgeschichte geschrieben: als Mitglied der hiesigen volkskundlichen Scientific Community und als Historiograph der Disziplin – und beides mag miteinander verwoben sein, seine Aufarbeitung im Besonderen der politisch-ideologischen Geschichte des Faches hatte ihren Anstoß wohl auch im persönlichen Erleben und Miterleben. Als Angehöriger einer Generation, die vom Nachwehen und Nachwirken nationalsozialistischen Gedankengutes auch und gerade während der Konstituierungsphase der Zweiten Republik in ihrem unmittelbaren Umfeld betroffen war, sah er in der Phase der allmählichen Öffnung des gesellschaftlichen und kulturpolitischen Horizonts in den späten 60er Jahren etwa in Richard Wolfram nicht nur seinen Lehrer und Förderer, der ihm eine solide Grundlage „klassisch“ volkskundlicher Kenntnisse vermittelt hatte, sondern auch und immer mehr den Karrieristen und Propagandisten des NS-Regimes. Doch wie immer daraus resultierende nicht nur fachliche, sondern auch persönliche Differenzen ihre Rolle gespielt haben mögen – Olaf Bockhorns fachgeschichtliche Abhandlungen sind, bei allem oft nicht zurückgehaltenen Ausdruck von Betroffenheit, getragen vom Tenor des akribisch-archivalisch arbeitenden Historikers, dem wir nüchterne Einblicke in die Untiefen fach- und wissenschaftspolitischer Strukturen verdanken.
„Volkskunde aus der Mitte“ war der Titel der Festschrift, die zum siebzigsten Geburtstag von Olaf Bockhorn herausgegeben worden ist. Die Herausgeber*innen haben den Jubilar damals als jemanden bezeichnet, der in der „Mitte zwischen dem ‚alten‘ und ‚neuen‘ Fach steht“, der „die klassische Volkskunde nicht gänzlich verlassen, sich aber neue Themen und Zugänge geöffnet hat“. Dem können wir nur beipflichten: Im traditionellen Fachverständnis ausgebildet, fachlich einem sozialwissenschaftlich erweiterten Kulturbegriff verschrieben (keine Selbstverständlichkeit bei volkskundlichen Vertretern seiner Generation) und politisch-weltanschaulich der „demokratischen Kulturgeschichtsschreibung“ seines langjährigen Weggefährten im Institut Helmut P. Fielhauer bis zuletzt treu geblieben, stand Olaf Bockhorn der „klassischen Volkskunde“ mit ebensolcher Skepsis gegenüber wie manchen Entwicklungen und Ausgriffen in der volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Disziplin (welchen Namens immer), in denen ihm das fachbestimmende Definiens zu verschwinden drohte.
Viele Generationen von Studierenden am Institut für Volkskunde bzw. Europäische Ethnologie hat Olaf Bockhorn (auch langjähriger Vorsitzender der Studienkommission) in seinen Lehrveranstaltungen und als Betreuer von rund 190 Abschlussarbeiten motiviert und inspiriert. Darüber hinaus aber haben jene, die Olaf hier als Lehrer, Kollegen und Freund gekannt haben, einen Menschen in Erinnerung, der sie mit (oft polterndem) Humor, kritischer Zurede und effizientem Wohlwollen begleitet hat.
Herbert Nikitsch
Susanne Wicha