Schreiben

Lesen ohne zu schreiben ist verlorene Zeit

Die Lernwissenschaft zeigt auf, dass effektives Lernen nur durch die Aneignung von bisher unbekanntem Wissen durch Verknüpfung mit bisher bestehendem Wissen funktioniert.[1]

Die effektivste Methode, um die Inhalte und Argumente eines Texts zu verstehen, ist das Wiedergeben der Inhalte in eigenen Worten. Deshalb reicht es nicht, beim Lesen nur vermeintlich wichtige Stellen zu markieren und zu unterstreichen. Man muss weitergehen und die Relevanz oder Wichtigkeit der markierten Stelle mit einem eigenen Kommentar verknüpfen. Mit dieser Übersetzung des Gelesenen in die eigene Sprache eignet man sich fremde Konzepte und Begriffe an.

Das Exzerpieren von Texten soll deshalb nicht nur eine Liste von herausgestrichenen Zitaten sein, sondern eine möglichst genaue und knappe Zusammenfassung der Elemente des Texts, die für dich (in diesem Lesekontext) wichtig und wertvoll sind. Der Soziologe Niklas Luhmann nennt diese Notizen „verdichtete Reformulierungen des Gelesenen”[2]. Lektüre mit solcherart Notizen ist nachhaltiger, diese Aufzeichnungen können dir im Laufe des Studiums immer wieder dienen. Was nicht heißt, dass man keinen Text zweimal lesen soll, darf, oder will! Während es verschiedene Schreibroutinen gibt, die man ausprobieren sollte, empfiehlt es sich, diese Notizen zu digitalisieren (oder überhaupt gleich digital zu erstellen) und sie mit dem Gelesenen gemeinsam abzulegen . Der Vorteil von digitalen Notizen liegt darin, dass man sie mit der Suchfunktion leichter wiederfinden und auch durchsuchen kann. Dazu eignen sich die Notes Funktion von der bewährten gratis und open source Literaturverwaltungsanwendung Zotero, die Anwendung Citavi, oder man kann auch einfach eine Word Datei erstellen, in der man Notizen und Literaturverweise geordnet speichert.

 

Schreiben zum Denken und Lernen

Schreiben ist nicht nur die Tätigkeit, die man ausführt, um eine Seminararbeit zu produzieren. Wir schreiben, wie schon oben beschrieben, in vielen Formen und Situationen. Genauso, wie wir im Alltag Einkaufslisten oder Grußkarten schreiben, schreiben wir im studentischen und wissenschaftlichen Alltag alle möglichen Sorten von Notizen, und dazu noch Tweets, Emails, Blog-Einträge, Berichte, Essays, Artikel und vielleicht sogar Bücher.

Es ist ebenso eine Einsicht der kognitiven Wissenschaften, dass Schreiben den Denkprozess unterstützt. Denn nur durch das sprachliche Ausformulieren von unseren Gedanken, kommen wir überhaupt darauf, was wir eigentlich denken und auch kommunizieren wollen. Bei dem Erstellen von Notizen, dem Aufschreiben von Gedanken ist man nicht gescheitert, wenn das Geschriebene noch keinem publizierbaren Text gleicht. Luhmann gesteht: „Sicher produziert man zunächst weitgehend Abfall”[3]. Man sollte sich die Entwicklung des eigenen professionellen Schreibens nicht als geradlinigen Prozess vorstellen, sondern als einen immer auch holprigen Weg, egal wer schreibt. Es braucht mehrere bis viele Versionen und Textformen, bis man vom flüchtigen Gedanken zum fertigen Text kommt.

Die für das Lesen vorgeschlagenen drei Schritte eignen sich auch für das Schreiben von Texten, die am Ende mit einem Publikum (sei es auch nur die Dozentin) geteilt werden sollen.

 

1.       Keep calm and write on

Schriftliche Arbeiten gehören zu den wichtigsten Leistungen im Studium, was auch bedeuten kann, dass Schreiben oftmals aus Pflicht und nicht so recht aus Lust geschieht. Wenn man jedoch über die Pflicht hinweg Schreiben als Möglichkeit wahrnimmt sich auszudrücken und mit anderen Menschen zu kommunizieren, gewinnt diese Tätigkeit an persönlicher Bedeutung.

Schreiben ist schwer. Auch erfahrene Schriftsteller:innen bestätigen ihre oft wiederkehrende Frustration mit dem Schreiben. Kein längerer Text lässt sich (ohne viel unangenehmen Stress) innerhalb eines Tages schreiben. Deshalb seid ihr (wie wir alle) gut beraten, früh mit vielen kurzen Notizen und Aufzeichnungen anzufangen,   die sich mit der Zeit verdichten und vielleicht sogar ohne große Mühe zu einem Text verflechten.

Obwohl viele Schreibratgeber behaupten, dass man möglichst am Morgen mit dem Schreiben beginnen  und kurze aber regelmäßige Schreibsessions tätigen soll, gibt es nicht einen einzigen besten Weg um zu schreiben. Wir raten euch deshalb mit verschiedenen Schreibsituationen zu experimentieren: geht es tatsächlich in der Früh beim ersten Kaffee leichter, Wörter auf den Bildschirm zu bringen? Oder vielleicht findet ihr in ruhigen Nachmittagsstunden, wenn niemand in der WG ist und die Sonne in euer Zimmer fällt, den besten Schreibfluss? Oder vielleicht seid ihr überhaupt Nachteulen, die erst um Mitternacht die Tastatur zum Qualmen bringt. Wichtig sind trotzdem sowohl eine Art Regelmäßigkeit als auch die Bereitschaft Gedanken, wo auch immer sie euch in den Kopf poppen, aufzuzeichnen. (Für das Handy gibt es unzählige Apps mit denen man schnell Notizen – auch Audio – machen kann.)

 

2.       Schritt für Schritt

Viele sehen das Schreiben als lästige Aufgabe am Ende ihrer Arbeit. Ein Text schreibt sich normalerweise nie vom ersten bis zum letzten Satz in einem durch. Tatsächlich sollten unterschiedliche Formen des Schreibens den gesamten Arbeitsprozess begleiten. Um das Schreiben als Denken zu praktizieren, lohnt es sich unterschiedliche Textsorten und materielle Formen auszuprobieren und in verschiedenen Situationen anzuwenden: ein erstes Brainstorming zu Themen auf einem großen Stück Papier, eine erste stichwortartige Gliederung in einem Text-Editor, weiteres Bearbeiten mit Haftnotizen  auf der Wand, Fließtext nach und nach in die Gliederung einfügen, ausdrucken, mit Schere und Klebeband auf einem Tisch oder am Boden ausgebreitet das Geschriebene in eine flüssigere Reihenfolge bringen, um danach die neue Ordnung in die Datei zu übertragen. All diese Schritte, in welcher Form auch immer sie umgesetzt werden, sind Teil des Schreibens und sollen als solche zur Routine werden.

 

3.       Was will ich von dem Text?

Am wichtigsten ist es sich den Zweck des Texts vor Augen zu führen: Was will ich kommunizieren? Und an wen? Wenn diese zwei Aspekte klar ausformuliert sind, dann hat man  das Ziel und die Rahmenbedingungen des Textes definiert und kann sich während des Schreibprozesses daran erinnern.

 

Eine Schreibpraxis entwickeln

Es bietet sich an, das Schreiben von Notizen als studentische/wissenschaftliche Alltagspraxis zu betrachten, die unterschiedliche Funktionen erfüllt. Das handschriftliche Mitschreiben bei Vorlesungen und Vorträgen dient dazu, die eigene Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten und gleichzeitig die Inhalte durch ein erstes verdichtendes Reformulieren für die eigenen Zwecke zu konkretisieren. Auch flüchtige Notizen, auf losen Zetteln festgehalten, helfen eine Idee für einen späteren Zweck festzuhalten. Solche flüchtigen Notizen sollten in regelmäßigen Abständen übersetzt, verknappt oder auch ausformuliert werden, damit sie einen Mehrwert bringen. Dazu kann man genauso Zoteros Notes verwenden, diese Notizen in einem jeweiligen Projekt- oder Seminarordner speichern oder auch einen digitalen Zettelkasten anlegen.

Wenn man regelmäßig Notizen schreibt, fängt man nie bei Null an, wenn es darum geht, Texte zu schreiben, die andere dann auch einmal lesen. Man kann sich auf einen Schatz von bereits ausformulierten Gedanken und Argumentationslinien beziehen, die dann in einem zielgerichteten (aber nicht weniger iterativen) Schreibprozess überarbeitet, neu angeordnet, und neu formuliert werden. Mit dem regelmäßigen Mitschreiben in Lehrveranstaltungen und dem Exzerpieren von Lektüre bildet man einen Grundstock an Material, auf dem die Seminararbeit aufgebaut werden kann.

(Anna Weichselbraun)

 

Weiterführende Literatur:

Sönke Ahrens: Das Zettelkasten-Prinzip. Norderstedt 2017.

—> Ein Ratgeber zum effektiven Schreiben von Notizen, sehr lesbar und mit vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen untermauert.

Howard S. Becker: Die Kunst des professionellen Schreibens. Ein Leitfaden für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Frankfurt/New York 1994.

—> Ein Klassiker unter den wissenschaftlichen Schreibratgebern. Becker schreibt reflexiv mit Humor und Verständnis für die Situation der Studienanfänger.

Valentin Groebner: Wissenschaftssprache. Eine Gebrauchsanweisung. Konstanz 2012.

—> Ein Historiker, der viele Mythen wissenschaftlichen Schreibens anspricht und damit das wissenschaftliche Schreiben sehr entlastet.

Anhänge:

Blitzexposé: Das Blitzexposé kann als Leitfragen gestütztes Freewriting gesehen werden, um Text zu generieren. Das Produkt kann anschließend als Rohmaterial zum Verfassen des Exposé verwendet werden.


[1] Vgl. Sönke Ahrens: Das Zettelkasten-Prinzip. Norderstedt 2017.

[2] Luhmann, Niklas (2008) Lesen lernen. In: Nils Werber (Hrsg.), Schriften zu Kunst und Literatur. S. 9–13. Suhrkamp Verlag. S. 11.

[3] Luhmann 2008: S. 12.