Wissenschaftliches Arbeiten

Wodurch zeichnet sich überhaupt wissenschaftliches Denken, Argumentieren, Schreiben und Präsentieren aus? Diese Frage muss notwendigerweise am Beginn einer Broschüre zu wissenschaftlichen Arbeitstechniken stehen, ergeben sich doch die konkreten formalen Notwendigkeiten, also letztlich das „Handwerkszeug“, direkt aus der Logik und den Anforderungen des wissenschaftlichen Arbeitens.

Ein Blick in verschiedene wissenschaftliche Disziplinen zeigt, dass etwa die Art und Weise, in der wissenschaftliche Texte gestaltet sind, oder die Grundlagen, auf die verschiedene Wissenschaften ihre Aussagen stützen, sehr unterschiedlich sein können. Konventionen hinsichtlich der Wissenschaftssprache oder des Zitierstils variieren aber auch innerhalb ein und desselben Faches historisch und regional. Dennoch lassen sich eine Reihe allgemeiner Kriterien der Wissenschaftlichkeit formulieren, die disziplinenübergreifend gelten. Ein Anspruch auf Vollständigkeit ist damit nicht erhoben. Vielmehr sollten die folgenden Hinweise – womöglich – in dem Bewusstsein angewandt werden, dass Regeln und Konventionen auch in wissenschaftlichen Feldern Veränderungen unterworfen sind.

 

Merkmale wissenschaftlichen Arbeitens

Der Ausgangspunkt jedes wissenschaftlichen Denkens, Präsentierens und Schreibens, und damit auch zentrale Prämisse wissenschaftlichen Arbeitens, ist die Bezugnahme auf einen wissenschaftlichen Diskurs innerhalb einer spezifischen Scientific Community. Ihr könnt euch das wie die Teilnahme an einem Gespräch vorstellen, das verschiedene Forscherinnen und Forscher miteinander führen. Konkret bedeutet dies, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das eigene Thema und die eigene Fragestellung immer in einen Zusammenhang stellen mit anderen Forschungen, die innerhalb des eigenen Faches oder verwandter Fächer bereits durchgeführt wurden. Je nachdem, wie fortgeschritten man oder frau in der wissenschaftlichen Ausbildung ist, kann sich dies unterschiedlich gestalten. Zu Beginn des Studiums wird es dabei eher um selektive Bezugnahmen auf einzelne andere Forschungen gehen, später wird gefordert sein, dass man sich einen gewissen Überblick über die Publikationen aus einem Themenbereich erarbeitet. Ab dem MA-Niveau sollten Qualifikationsarbeiten (also Masterarbeiten und in weiterer Folge dann auch Dissertationen und Habilitationen) Lücken in der bisherigen Forschung identifizieren und ergänzende Fragen und Zugänge zu einem Thema entwickeln. Die sorgfältige und kritische Diskussion der Forschungsliteratur in Verbindung mit dem empirischen Material, das man in einer Forschung erhebt und auswertet, dient dazu, einen eigenen fundierten wissenschaftlichen Standpunkt innerhalb einer größeren Fach- und Themendiskussion zu argumentieren.

Ein weiteres grundlegendes Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens – im Übrigen eines, aus dem sich viele formale Anforderungen ableiten – ist die Nachvollziehbarkeit der Argumentation. Wissenschaftliche Publikationen einerseits und Quellen und Materialien andererseits, die analysiert und in einem Text verwendet werden –  Archivmaterial etwa –, müssen so belegt sein, dass sie für andere auffindbar und überprüfbar sind. Die Grundlagen von Thesen müssen insoweit offengelegt werden, dass nachvollziehbar wird, wie die Autorin oder der Autor zu ihren oder seinen Schlussfolgerungen gelangt ist. Das bedeutet beispielsweise, dass das methodische Vorgehen erläutert und Beobachtungen oder Interviewausschnitte so detailliert wiedergegeben und kontextualisiert werden müssen, dass klar wird, wie gearbeitet wurde und worauf sich Aussagen stützen.[1] Nachvollziehbarkeit bedeutet aber auch eine gewisse Stringenz der Argumentation, also dass Fragestellung, empirisches Material und Schlussfolgerungen zusammenpassen, und dass die Leserin oder der Leser der Argumentation logisch folgen kann.

Damit ist auch schon ein drittes Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens angedeutet, nämlich eine gewisse Systematik des Vorgehens. Am Beginn einer wissenschaftlichen Forschung stehen üblicherweise die Eingrenzung eines Themenfeldes und die Formulierung einer Fragestellung sowie die Verortung dieser Fragestellung in einem wissenschaftlichen Forschungsfeld, dann werden geeignete Methoden für die Bearbeitung der Fragestellung gewählt, Material gesammelt, erhoben und ausgewertet und schließlich die Ergebnisse der Forschung formuliert. Diese Abfolge ist nicht in einer strengen Linearität und nicht im Sinne eines sicheren Rezeptes zu verstehen, sie kann, ja muss nach dem Verständnis der Europäischen Ethnologie mitunter auch variiert werden. So kann beispielsweise auch das Interesse für eine bestimmte Methode oder Theorie zur Fragestellung führen und die Fragestellung wird im Verlauf des Forschungsprozesses immer wieder adaptiert werden (—> Kapitel „Themenfeld und Forschungsfrage“). Wichtig ist in jedem Fall aber, dass Fragestellung, methodisches Vorgehen und Ergebnisse einer Forschung aufeinander abgestimmt werden.

 

Techniken wissenschaftlichen Arbeitens

Aus diesen Merkmalen des wissenschaftlichen Arbeitens ergibt sich, dass einerseits dem Lesen und andererseits dem Schreiben im wissenschaftlichen Arbeitsprozess ein besonderer Stellenwert zukommt. Lesen (—> Kapitel „Lesen“) bildet die Grundlage, um die eigene Forschung in einem Fachdiskurs verorten zu können. Dafür ist zunächst einmal eine strukturierte Literaturrecherche (—> Kapitel „Recherchieren und Bibliographieren“) notwendig, aber auch die Fähigkeit, vorliegende Texte in ihren Entstehungskontext einzuordnen, Argumentationslinien unterschiedlicher Autorinnen und Autoren nachzuvollziehen, zueinander in Beziehung zu setzen und die eigene Forschung in der entsprechenden Fachdiskussion zu positionieren. Das Schreiben (—> Kapitel „Schreiben“) wiederum spielt nicht erst für die Aufbereitung der Ergebnisse einer Forschung eine zentrale Rolle, sondern bereits in vielen vorhergehenden Schritten im Arbeitsprozess, etwa um Gelesenes festzuhalten und Zwischenüberlegungen zu formulieren oder auch Beobachtungen und Überlegungen in einem Forschungstagebuch aufzuzeichnen. Es gibt dafür eine Reihe von etablierten Textsorten (—> Kapitel „Textsorten“) – Exzerpte, Abstracts und Exposés beispielsweise –, aber auch viele freiere Formen, die es je nach Erfahrungen des eigenen Arbeitens zu entwickeln gilt. Die Produkte wissenschaftlichen Arbeitens, die in den allermeisten Fällen schriftliche Form annehmen, können im Konkreten recht unterschiedlich aussehen. Mit aufmerksamer Lektüre wird schnell deutlich, dass es fach- und zeitspezifische Konventionen der Wissenschaftssprache gibt. Eine markante Eigenschaft wissenschaftlicher Texte, die sich aus der Anforderung der Nachvollziehbarkeit ergibt, sind aber immer Belege, die nach einem bestimmten System auf wissenschaftliche Texte und empirische Materialien verweisen (—> Kapitel „Recherchieren und Bibliographieren“).

 

Formate wissenschaftlichen Arbeitens

Es gibt, je nach Kontext, in dem man sich bewegt, sehr unterschiedliche Formate, in denen die Ergebnisse wissenschaftlichen Arbeitens präsentiert werden können. Im Studium werden dies zunächst klar umrissene Übungen und Seminararbeiten sein. Die einzelnen Etappen in der wissenschaftlichen Ausbildung werden mit sogenannten Qualifikationsarbeiten abgeschlossen. Das sind zunächst Bachelorarbeiten und Masterarbeiten, für das Doktoratsstudium dann Dissertationen und für jene, die eine Professur an der Universität anstreben, schließlich im deutschsprachigen Raum vielfach Habilitationen. Daneben gilt es, sich im Verlauf des Studiums zahlreiche mündliche Formate anzueignen: Auch Präsentationen und Diskussionsbeiträge sollten bereits im Studium als wissenschaftliche Beiträge verstanden werden und entsprechend der Anforderungen wissenschaftlichen Arbeitens gestaltet sein.

Die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung werden in Form von Monographien (Einzeldarstellungen, zumeist von einer Autorin oder einem Autor zu einer bestimmten Fragestellung) bzw. von wissenschaftlichen Artikeln in Fachzeitschriften, Handbüchern oder Sammelbänden veröffentlicht oder als mündliche Beiträge auf Konferenzen aufbereitet (—> Kapitel „Recherchieren und Bibliographieren“). Zunehmend wichtig werden auch Formate wissenschaftlichen Arbeitens, die sich an eine breitere Öffentlichkeit richten, beispielsweise Ausstellungen, populärwissenschaftliche Publikationen oder Medienbeiträge etwa im Radio oder im Film. Diese Formate werden nur ausschnittsweise in Lehrveranstaltungen diskutiert, aber nicht systematisch erlernt; gleichzeitig ist es wichtig, deren Eigenlogik zu verstehen, um sie in der Rezeption gut einordnen zu können.

 

(Ana Rogojanu & Klara Löffler)


[1] Anders als in vielen Naturwissenschaften, die mit Experimenten arbeiten, bedeutet Nachvollziehbarkeit in den Kultur- und Sozialwissenschaften aber nicht Wiederholbarkeit – also, dass ein Experiment unter den gleichen Voraussetzungen die gleichen Ergebnisse erzielt. Eine kulturwissenschaftliche Forschung ist nicht wiederholbar, weil sie in lebensnahen Situationen stattfindet, die nicht reproduzierbar sind, und weil die daran beteiligten Menschen (auch die Forscherin oder der Forscher) eine wesentliche Rolle für das Ergebnis spielen.