Themenfeld und Forschungsfrage
In bestimmten Lehrveranstaltungen gehört der Entwurf eines Kurzexposés (—> Kapitel „Textsorten“) oder eine kleine empirische Forschungsarbeit zu den Aufgaben. Diese Arbeiten bieten die Möglichkeit, im Rahmen des Studiums in den wissenschaftlichen Dialog, der im Fach geführt wird, einzutreten.
In eigenständigen Arbeiten wie den oben erwähnten ist dann schnell die Rede von der Auswahl eines Themenfelds und der Formulierung einer Forschungsfrage (manche sprechen von der Fragestellung, wir verwenden beide Begriffe mehr oder weniger austauschbar). Mit der Forschungsfrage soll das Thema präzisiert und untersuchbar gemacht werden. Im ersten Moment klingt das auch gar nicht so kompliziert und aufwendig, wie es letztendlich ist. Das soll euch nicht entmutigen. Im Gegenteil, wir wollen klarstellen, dass das Eingrenzen eines Themenfelds und die präzise Definition einer Forschungsfrage zwar zu den schwierigsten, aber gleichzeitig zu den spannendsten Aufgaben des wissenschaftlichen Arbeitens gehören.
Wie komme ich zur Forschungsfrage?
Ein erster Vorschlag dafür ist das Vorgehen in vier Schritten[1]:
1. Vom Interesse zum Thema: Welche deiner Interessen spiegeln sich in einem kulturwissenschaftlichen Thema wider?
Eure Interessen sind ein wertvoller Ausgangspunkt auf dem Weg zu einem Thema, mit dem ihr euch näher beschäftigen möchtet. Wichtig ist jedoch, dass diese Interessen auch wissenschaftlich begründet werden können. Hier kann eine erste grobe Literaturrecherche einen Überblick über die Forschungslandschaft in dem Themenfeld geben und mögliche Richtungen aufzeigen, die man weiterverfolgen kann.
2. Thema eingrenzen: Was möchtest du herausfinden und wie passt dein Vorhaben in die Themenfelder und Perspektiven des Fachs?
Steht einmal ein Themenfeld fest, gilt es dieses so eng wie möglich einzugrenzen. Das ist am Anfang schwierig, wird aber mit der Zeit und durch Übung leichter. Wenn ihr euer Themenfeld beschreibt, kann darin auch schon eine Annahme darüber enthalten sein, die in Richtung der Fragen weist, die euch daran interessieren. Je konkreter und präziser ihr euer Themenfeld benennen könnt und je intensiver/engagierter euer Forschungsinteresse daran ist, desto leichter tut ihr euch auch mit den Fragen, die ihr an das Themenfeld stellen wollt.
3. Fragen an das Thema: Welche Fragen findest du am interessantesten?
Bevor ihr jetzt schon mit der systematischen Literaturrecherche beginnt, ist es wichtig die Fragen und das Thema schrittweise näher zu definieren. Dazu kannst du dir zur Übung erst einmal alle möglichen Fragen zum Thema stellen: wie, wer, wann, wo, warum? Vorsicht: Diese Fragen sind nicht das gleiche wie deine Forschungsfrage.
4. Die wichtigste Frage: na und? („Erkenntnisinteresse“)
Eine gute Forschungsfrage deutet auf das Erkenntnisinteresse der Forschung hin. Jede Forschungsarbeit sollte als Beitrag zum Gesprächsstoff der wissenschaftlichen Community gesehen werden. In einem guten Gespräch fühlen sich Gesprächsteilnehmende angeregt und nehmen etwas aus dem Dialog für sich mit. Ein Gespräch, in dem eine Person ausschließlich über eigene Interessen spricht, wird bald zu einem Monolog.
Daneben gibt es natürlich noch viele andere Möglichkeiten. Hier ist eine weitere, überraschend einfache und effektive Hilfestellung für die Formulierung einer Forschungsfrage mit der man sich selbst klarer machen kann, was man herausfinden will und warum:
1. Thema benennen: "Ich interessiere mich für [Andeutung an die Frage]"
2. Indirekte Frage hinzufügen: "… weil ich herausfinden möchte wie/wer/wann/wo/warum…"
3. So what? "… damit mein Publikum versteht ob/warum…"
Bleib geduldig!
Man kommt nicht in einem Zug zur Forschungsfrage. Ganz im Gegenteil, eine Forschungsfrage macht einen Entwicklungsprozess von vielen Fassungen durch und erfüllt in jedem Schritt des Erstellens einer wissenschaftlichen Arbeit eine etwas andere Funktion, während ihr sie gleichzeitig immer wieder neu formulierst. Zu Beginn orientiert und schärft man während der Literaturrecherche mit mehreren Versionen der Forschungsfrage das eigene Interesse gegenüber dem Thema. Mit der Forschungsfrage verbunden sind Überlegungen zum empirischen Vorgehen, d.h. zu den Methoden und Quellen, die eure Fragen zu klären vermögen (wenn nicht, dann muss sie vielleicht überarbeitet werden). Während des Forschens und Schreibens bietet die Forschungsfrage Hinweise zur Richtung der Argumentation, die in Wechselwirkung mit der Forschungsfrage immer wieder angepasst wird. In der fertigen wissenschaftlichen Studie erkennt man die (für dieses Mal letzte) Forschungsfrage als roten Faden, der sich durch die Seminararbeit, den Aufsatz, das Buch zieht.
(Anna Weichselbraun)
Christine Bischoff, Karoline Oehme-Jüngling: Fragestellungen entwickeln. In: Christine Bischoff, Walter Leimgruber (Hg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 2014, S. 32-52.
—> anschauliches Beispiel für mögliche Schritte auf dem Weg zu einer Forschungsfrage in der Europäischen Ethnologie.
Anhänge:
Dreischritt: Ein weiteres Hilfsmittel zur Formulierung der Forschungsfrage.
Themenpyramide: Die Themenpyramide dient zur Eingrenzung eines Forschungsthemas. Sie soll nicht als strikte zeitliche Abfolge gesehen werden, stattdessen bietet sie inhaltliche Inputs und Möglichkeiten das Thema einzuschränken.
[1] Basierend auf Wayne C. Booth u.a.: The Craft of Research. Chicago, 2016.